Milchpreiskrise: FDP Wetterau besucht Büdinger Preiserlenhof

06.06.2016

Das Land, wo Milch und Biomasse fließen

Um eine Expertenmeinung zur aktuellen Milchpreiskrise zu hören, haben sich Vertreter der FDP Wetterau vergangene Woche mit Andrea Rahn-Farr, der Vorsitzenden des Regionalbauernverbands Wetterau/Frankfurt a. M., getroffen.
Auf ihrem landwirtschaftlichen Hof im Büdinger Stadtteil Rinderbügen empfing die Betriebsleiterin den ehrenamtlichen Kreisbeigeordneten der Freidemokraten im Wetteraukreis, Wolfgang Patzak, den designierten Vorsitzenden der FDP-Kreistagsfraktion, Peter Heidt, sowie die liberalen Ortsvorsitzenden Natascha Baumann (Altenstadt), Oliver Feyl (Karben) und Jens Jacobi (Rosbach).
Ebenfalls anwesend war der stellvertretende Ortsvorsitzende der FDP Friedberg/Bruchenbrücken, Roger Götzl.

Rund 360 Kühe leben auf dem Milchviehbetrieb, den die Agraringenieurin gemeinsam mit ihrem Ehemann leitet. Da sowohl Andrea Rahn-Farr als auch Karsten Farr aus Bauernfamilien stammen, war die Entscheidung über den Standort des gemeinsamen Hofes gar nicht so einfach: „Ich habe meine rotbunten Holsteinkühe dann letztendlich mitgenommen und züchte die Kuhfamilien hier weiter“, erklärt die Bauernverbandsvorsitzende. Weniger zufrieden sind Rahn-Farr und ihr Regionalverband mit dem, was sich derzeit auf dem Milchmarkt abspielt: Die Branche steckt in der Krise, durch das Zusammentreffen von geringerer Nachfrage und hohem Milchangebot kommt es Tiefstpreisen in den Milchregalen der Discounter und Supermärkte. Den Milchbauern fehlten die Mittel, um solche Preisschwankungen einzuplanen und auf sie reagieren zu können, sagt Rahn-Farr: „Preisvolatilitäten gibt es immer und überall. Leider hat sich die Spanne der Unterschiede in den letzten Jahren aber enorm ausgedehnt. War das Schwankungsintervall früher rund neun Cent breit, erstreckt es sich mittlerweile auf ganze 19 Cent. Hier müssen wir mit unseren Molkereien daran arbeiten, dass Preissignale früher bei uns ankommen und wir mit unserer Produktion darauf reagieren können, ob es zu viel oder zu wenig Milch am Markt gibt – und das möglichst mehrere Monate im Voraus.
Denn es dauert lange, eine Kuh aufzuziehen und Futter für sie zu werben.
Außerdem errechnet sich die Besteuerung der Betriebe auf Basis des Vorjahreserfolgs – bei unvorhersehbar ausfallenden Einnahmen kann das existenzbedrohend sein. Folgt beispielsweise auf ein besonders gutes Jahr ein sehr schlechtes, stehen viele Milchproduzenten vor dem Ruin.“ Zur Lösung des Problems schlägt Rahn-Farr eine Straffung des Steuersystems vor: „Wir sollten diese Steuerlast auf mehrere Jahre verteilen und damit glätten, weil die Realität schlicht nicht immer berechenbar ist. Ich denke, das ist eine berechtigte Forderung.“

Beim Gang über den Hof fielen den Freidemokraten die deutlich sichtbaren Haltungs-und Technologie-Fortschritte seit den 1980er-Jahren besonders ins Auge:
Die Kapazität der Ställe hat nicht nur insgesamt zugenommen, sondern bietet auch der einzelnen Kuh ein zunehmendes Maß an Bewegungsfreiheit. Moderne Technik hilft bei der Überwachung der Kühe, mindestens einmal in der Woche kommt der Tierarzt und untersucht die Rinder und deren Milchwerte. Das wirke sich laut Rahn-Farr spürbar auf die Laktationsleistung der Kühe aus: „Nur Kühe, die sich wohlfühlen, produzieren viel Milch bei guter Gesundheit. Wir arbeiten daran, die Haltungsbedingungen stetig zu verbessern. Neben unserem Melkstand haben wir auch einen Melkroboter. Diesen suchen die Kühe freiwillig auf – jede hat ihren eigenen Biorhythmus, sodass manche Tiere zwei Mal, andere fünf Mal am Tag zum Melken gehen. Das automatische Melken gefällt uns so gut, dass wir jetzt die ganze Herde in einem Neubau an Melkrobotern melken wollen. Wir investieren viel Geld in diesen neuen Stall, weil wir jeder Kuh noch mehr Platz und Komfort bieten wollen. Außerdem setzen wir auf hochmoderne technische Hilfsmittel zur Überwachung von Gesundheit und Wohlbefinden jeder einzelnen Kuh. Trotz aller Hilfsmittel ist der Mensch nach wie vor der wichtigste Faktor für die Betreuung unserer Herde. Unseren Mitarbeitern und uns selbst wollen wir auch einen attraktiven und angenehmen Arbeitsplatz bieten.“

Der ebenfalls aus Büdingen stammende ehrenamtliche Kreisbeigeordnete Wolfgang Patzak zeigte sich erfreut über das Zusammenleben von Mensch und Tier auf dem
Preiserlenhof: „Wir sind stolz, einen so vorbildlich arbeitenden Milchviehbetrieb in unserer Gemeinde zu haben. Besonders hervorzuheben sind die deutlich über dem Tarif liegenden Löhne, die Frau Rahn-Farr ihren sechs Angestellten zahlt. Der Betrieb ist also nicht nur sehr tiergerecht, sondern auch äußerst human.“

Neben dem Milchviehbetrieb befindet sich auf dem Preiserlenhof auch eine Biogasanlage, die die Ausscheidungen der Kühe energetisch nutzbar macht. Der große Vorteil: Gas ist im Gegensatz zu durch Wind und Photovoltaik gewonnener Energie speicherbar und damit verlässlicher. „Mit dem aus den Exkrementen gewonnen Gas, das uns eine Kuh jährlich bereitstellt, lässt sich ein vierköpfiger Haushalt im gleichen Zeitraum mit Energie versorgen“, klärt Rahn-Farr die Besucher auf.
Als Hauptgrund für die derzeitige Misere am Milchmarkt benennt die Betriebsleiterin eine lange Tradition staatlicher Fehlanreize seit den 1960er Jahren, die der Branche damit auf lange Sicht schadeten: „Einen ersten Höhepunkt dieses anhaltenden Trends haben wir Anfang der Achtziger mit den berüchtigten ‚Butterbergen‘ und ‚Milchseen‘ erlebt. Die daraufhin installierte ‚Milchquote‘ regulierte die Milchproduktion, kostete die Milchbauern in Europa aber auch viel Geld und schadete letztlich ihrer Wettbewerbsfähigkeit. Diese Milchquotenregelung endete im März 2015 in einer Zeit, wo eine weltweite Wirtschaftsschwäche sowie das Russland-Embargo sämtliche Märkte für Nahrungsmittel beeinflussten. Zeitgleich zum Nachfragerückgang wurde weltweit das Angebot ausgedehnt. Nun stehen viele Milchvieh- und Schweinezuchtbetriebe vor großen wirtschaftlichen Problemen. Unterstützende Maßnahmen des Staates, wie die jetzt vom Agrarministerium in Berlin angekündigten 100 Millionen Euro Soforthilfe für Milchbauern in Form von Zuschüssen können zwar kurzfristig Betriebe retten. Langfristig muss aber die Interventionsspirale unterbrochen und die Abhängigkeit der Landwirtschaft von der Politik beendet werden, damit wir nicht sofort in die nächste Krise schlittern – dann möglicherweise mit noch größerem Ausmaß. Hierfür ist es dringend notwendig, dass sich die Milchbauern mit ihren Molkereigenossenschaften auf ein näher am Markt orientiertes Bezahlsystem einigen.“

Weitere Forderungen des Regionalbauernverbands umfassen die Bereitstellung von Hermesbürgschaften, um den Export hochwertiger Milchprodukte in kaufkräftige Märkte zu unterstützen, und Bürgschaften für unbürokratische Liquiditätshilfsprogramme. Die Umsetzung dieser Punkte wäre laut Rahn-Farr nur mit geringen Kosten verbunden. Wichtig sei dem Bauernverband, dass möglichst vielen Bauern geholfen wird, die aktuelle Krise zu überstehen und ihren Betrieb weiterführen zu können.